Aktuelles17.05.2024

Quartiere mit kurzen Wegen: „Wir müssen wieder anfangen Städte zu bauen, wie sie immer waren“

Bauen ist angesichts der anhaltend angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt ein politisches Thema geworden. 80 bis 100 Bewerbungen auf eine Wohnung im Speckgürtel Stuttgarts sind keine Seltenheit. Zugleich fordern Klimaschutz und Flächenverbrauch neue Lösungen. Genau darum sollte es beim klimaPLAN_Dialog unter dem Motto „Nachhaltig bauen. Gemeinschaftlich wohnen.“ am vergangenen Donnerstagabend (16. Mai) im Gewölbekeller des Dreigiebelhauses gehen.

Eingeladen hatten die Besigheimer Klimaschützer den Intendanten der internationalen Bauausstellung (iba) 2027 in der Region Stuttgart, Andreas Hofer. Der Schweizer Architekt möchte als künstlerischer Leiter der Bauausstellung in den insgesamt zehn Jahren seiner Berufung Wege finden, die Baukultur in einem der wohlhabendsten Metropolzentren Europas neu zu denken. Das Podium mit Moderator Daniel Christen vervollständigte die Architektin Pascale Hein, die sich als Geschäftsführerin eines in der Landeshauptstadt ansässigen Büros auf klimaschonendes Bauen spezialisiert hat.

„Wir müssen wieder anfangen Städte zu bauen, wie sie immer waren – außer eben in den letzten 100 Jahren“, führt Hofer schmunzelnd aus. Erst die Fortschritte in der Mobilität und der Erschwinglichkeit des Autos haben zu einer stärkeren Zersiedelung und mehr Pendelverkehr geführt. Die Vision der führenden Stadtplaner von heute ist das Quartier mit kurzen Wegen. Die Menschen sollen sich vor ihren Wohnungstüren begegnen. Ebenso sei es erstrebenswert, wenn Jung und Alt in derselben Straße wohnen. So können die einen den Einkauf mitbringen und die anderen ab und zu auf die Kinder aufpassen. Von der baurechtlichen Spaltung in Wohn- und Gewerbegebiete hält der Schweizer nicht viel. Schließlich kann auch vor Ort erzeugte erneuerbare Energie effizienter genutzt werden, wenn morgens die Kaffeemaschine und mittags die CNC-Fräse läuft.

Dem von der Bundesregierung ausgelobten Ziel, jährlich 400.000 Wohnungen neu zu bauen, steht die Architektin Hein skeptisch gegenüber. „Möglicherweise bauen wir da für einen Markt und an den Bedürfnissen der Menschen vorbei.“ Wohnraum muss mit dem Familienstand flexibel wachsen. Ein großes Potential besteht im Leerstand. Oftmals sind die Kinder schon aus dem Haus, das große Haus bleibt aber. Hier gilt es passende Angebote zu schaffen und den Tausch von Wohnungen verschiedener Größe zu fördern.

Schließlich ist tauschen ressourcenschonender als um- oder neu bauen. Wenn neu gebaut wird, orientieren sich die Zukunftsplaner am Prinzip der regionalen Rohstoffbeschaffung. Dabei gehen auch Unternehmen aus dem Landkreis schon voran. >Urban Mining< nennen es die Bauexperten, wenn bereits vorhandene Steine, Beton und Stahl als Grundmaterial für neue Gebäude dienen. Im Grunde ist das Prinzip nichts Neues. Die Schwaben haben noch nie etwas weggeworfen, was noch brauchbar war. Beim Bauen muss es auch wieder mehr um Langlebigkeit haben. „Ein neu gebautes Gebäude sollte 200 Jahre nutzbar sein“, so Hofer. Die besten Vorbilder für die neue Baukultur finden sich wohl mitten in der Besigheimer Altstadt.

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